Vor 14 Tagen. Die Heimreise von Israel und den besetzten Gebieten zurück in die Schweiz steht bevor. Der Abschied fällt mir nicht leicht: von Jerusalem, meinem Hauptarbeitsort. Vom Hebräischen übersetzt ‚die Stadt des Friedens‘, in der Praxis jedoch einem der wohl unheiligsten Orte überhaupt. Abschied von den Menschen, vom Nebeneinander, seltener jedoch Miteinander von mentalen Welten. Dem Theater aus Gerüchen und Geräuschen. Und einem Lebensklima, welches für mich jeden Tag mit neuen Überraschungen und Herausforderungen aufwartete. Am Ben Gurion Flughafen in Tel Aviv jedenfalls bekommt der Ausdruck ‚kein leichter Abschied‘ für mich zusätzlich eine ganz neue Dimension. Denn mit Handkuss liess mich das israelische Flughafenpersonal nicht gehen.
Ein Einblick in die israelische Flughafenabfertigung:
Ich erreiche den Ben Gurion Flughafen nahe Tel Aviv, Israel: in Absatzschuhen, nettem Kleidchen und rosa Lippenstift. Wie eine Lady, kein Aktivist, um mir „Kopfschmerzen bei der Ausreise“ zu ersparen (übersetzt: stundenlange Verhöre, Einreiseverbot oder ähnliches). So jedenfalls mein Plan. Anscheinend sehen die ersten Sicherheitsleute am Eingang des Flughafens dies leider anders und picken mich gleich heraus. Der erste Fragenposten: „Wie lange in Israel? Was gemacht? Wo gewohnt? Wo gereist?“.
Ob ich spezifisch in den besetzten Gebieten oder in der Westbank war, werde ich nicht gefragt. Dies ist nicht überraschend, da ein Gebiet mit diesen Namen in vielen israelischen Köpfen überhaupt nicht existiert. Israelische Schulbücher, sowie jegliche Landkarten, die ich in Israel selbst zu Gesicht bekommen hatte, machen keinen Unterschied zwischen den besetzten Gebieten und Israel – alles wird als Israel deklariert. In der Praxis habe ich in den besetzten Gebieten jedoch ausser dem Kontrollmantel nichts ‚israelisches‘ gesehen; beispielsweise sind die dort lebenden Menschen bzw. Palästinenser nicht israelische Bürger (ausser die illegalen Siedler), und die Palästinenser geniessen auch nicht das israelische Recht, sondern leben unter Militärrecht.
Zum Schluss trägt mich der Sicherheitsmann in eine Liste ein und schickt mich an den nächsten Frageposten. Dort wird es nach dem anfänglichen „Gepäck selbst gepackt?“ schnell bohrender und detaillierter. Dabei versichert mir das Sicherheitspersonal, dies sei „wirklich nur für meine eigene Sicherheit“. Wir beide spielen dasselbe Spiel, überfreundliche-Miene-zu-ernster-Situation (und dass Lüge und Wahrheit glücklicherweise sehr dehnbare Konzepte sind, kommt mir entgegen. Menschenrechtsbeobachter sind in Israel nicht unbedingt willkommen, wie ich in meinen 3 Monaten nicht selten zu spüren bekam). Der Sicherheitsmann macht mir einen netten Eindruck. Daher nehme ich dann auch relativ perplex zur Kenntnis, dass er mir als ‚Belohnung‘ für meine Antworten einen Sticker mit der berüchtigten Nummer 6 auf meine Gepäckstücke heftet. Dazu muss man wissen: jeder Passagier bekommt bei der Ausreise nach ein paar Fragen eine Nummer zwischen 1 und 6: Nummer 1 = Null Sicherheitsrisiko (bekommen nur Leute mit israelischem Pass), Nummer 6 = das andere Extrem, auch übersetzbar mit potentiellem Terrorist.
Durchgefallen also. Mein Pokerface jedoch bleibt.
Von dem Moment, als dieser Sticker auf meinem Gepäck prangert, kriege ich permanente Begleitung. Und so werd ich dann auch durch den Flughafen eskortiert. Ein Anti-Promi sozusagen. Die Vorteile bleiben: jegliche Schlangen an den Sicherheits-, Passkontrollen oder dem Check-In dürfen übersprungen werden und ich, als anscheinendes Sicherheitsrisiko, werde überall als Erste abgefertigt. Nach der Fragen-Runde die gründliche Kontrolle meines Gepäcks: während ich ratlos herumstehe und die teils undefinierten oder mitleidigen Blicke von einzelnen anderen Passagieren ernte, wird mein Gepäck auseinandergenommen. „Und, hast du Israel genossen?“, fragt mich der junge Sicherheitsmann in Small Talk Manier. Ich überlege und erinnere mich…
...an die weissen Sandstrände in Tel Aviv, Dez 2011
...an grosszügige israelische Gastfreundschaft, die mir vereinzelt entgegengebracht wurde...an das lebhafte Tel Aviv, wo der Hedonismus in der grössten, und dazu noch köstlichsten, Restaurant-Dichte überhaupt, seine Blühten schlagen kann...Leben, welche in der Vergangenheit jedoch auch durch palästinensische Anschläge erschüttert wurden, und dadurch tiefstes Leid und weit verbreitete Angst in der israelischen Gesellschaft verursacht hatten
...und keine 60km weiter die besetzten Gebieten, die wenig Kommentar benötigen (hier vor einem der Checkpoints inmitten der Stadt Hebron, Dez 2011)
...und dort die weitverbreitete Beklemmtheit, Verzweiflung, Armut, und Unfreiheit durch Willkür (hier die 'Käfig-Gänge' für die Palästinenser im Checkpoint Qalandya, zwischen Jerusalem und Ramallah, Feb 2012)
...an die vielen Menschen, Palästinenser und Israelis, die sich gegen die gegenwärtige Situation zur Wehr setzen (hier die 'Women in Black', israelische Frauen, die seit 24 Jahren jeden Freitag gegen die Besetzung der palästinensischen Gebiete demonstrieren, Feb 2012)
Eine Demonstration von Palästinensern, Israelis, und 'Internationals' gegen die Besetzung (Jerusalem, Feb 2012)
...und meinen eigenen Alltag (im Hintergrund Jerusalem, Feb 2012)
...in dem auf das Wetter genauso selten Rücksicht genommen werden kann wie auf Gefühle der Müdigkeit (Jerusalem, 2012)
„Ja…“, bleibt meine einzige Antwort, mit sehr verhaltenem Enthusiasmus.
„Ich hoffe für dich, dass ich nichts finden werde“, fährt er weiter. „Ich hoffe für DICH, dass du etwas finden wirst – musst du das hier den ganzen Tag machen?“ Er überhört meinen leicht sarkastischen Unterton und wühlt fleissig in meiner Souvenir-Sammlung weiter (jegliche Unterlagen oder Fotos, welche auch nur einzelne Buchstaben der Worte ‚Konflikt‘ oder ‚Menschenrechte‘ beinhalten könnten, hatte ich schon per Post nach Hause geschickt. Daraufhin hatte ich jeglichen digitalen Hinweis auf die besetzten Gebiete oder meine Arbeit gelöscht).
„Da ich ein Gentleman bin, werde ich dieses Mal dein Gepäck wieder selbst zusammen packen“, wendet er sich an mich, nachdem er anscheinend nichts Verdächtiges gefunden hat. Demonstrativ komm ich ihm dann auch nicht zu Hilfe, als ich bemerke, dass er anscheinend nicht so viel Übung in seiner Gentlemen-Rolle hat. Als seine Packfähigkeiten ihn dann tatsächlich zwingen, sich sogar weibliche Verstärkung anderweitig zu holen, kann ich es nicht mehr mit ansehen und nehme die Sache doch wieder selbst in die Hand. Ich lächle in mich hinein. Denn das einzige, was nicht unter die Lupe genommen wurde, war ein grosser, dünner Atlas (den ich aus Formatgründen schlecht in die Schweiz schicken konnte). Dieser Atlas, eine Art Mappe, zeigt dutzende Landkarten und Illustrationen jeglicher Checkpoints, Militärzonen, (illegalen) israelischen Siedlungen und vielem mehr innerhalb der besetzten palästinensischen Gebiete. Diese Karten, von UNocha ausgestellt und öffentlich zugänglich, hätten mir wahrscheinlich noch ein paar mehr unangenehme Fragen bereitet. Solche Informationen sind doch nur mit einiger Kreativität kompatibel mit meinem ‚Kirchenprogramm‘, welches ich anscheinend besucht hatte.
...selten eine gute Idee, zu erwähnen, dass man in den besetzten palästinensischen Gebieten war - nicht einmal aus Feriengründen.
„Kommen Sie in einen separaten Raum mit“, werde ich sodann von jungem, weiblichem Sicherheitspersonal aufgefordert. Der Marathon geht also weiter. ‚Separater Raum‘ hören meine Ohren jedoch nicht gerne. Eine befreundete Studentin aus Kalifornien musste sich am gleichen Flughafen in einem separatem Raum bis auf die Unterwäsche ausziehen. „Degradierend“ sei es gewesen, auch wenn nur weibliches Sicherheitspersonal präsent gewesen war. Einer anderen finnischen Freundin wurde im Dezember – nach 2-wöchigem Touristenaufenthalt in Jerusalem – der Flug verweigert. Sie hatte sich der Aufforderung widersetzt, ihren BH auszuziehen. Am gleichen Tag schaltete sie die finnische Botschaft ein und buchte einen neuen Flug. Am neuen Abflugdatum verzichtete sie gänzlich auf das Tragen eines BHs, um das Thema von Grund auf zu vermeiden. Schlussendlich wurde sie dann durch den Flughafen eskortiert – ohne eine einzige Frage gestellt bekommen zu haben.
Vor meiner Abreise hatte mich ein israelischer Freund aufgeklärt, wieso ich bei der Abreise in Schwierigkeiten geraten könnte: „Das Sicherheitspersonal wird dich fragen, wieso du nicht in Syrien am beobachten bist (wo die Lage ihrer Meinung nach viel prekärer ist), sondern hier in den besetzten Gebieten. Und könnten dich dann für einen Antisemiten und eine Sicherheitsgefahr für Israel halten“.
„Wofür bin ich in diesem Raum?“, frage ich das Sicherheitspersonal, als wir sodann den separaten Raum betreten. „Wir haben so unsere Art zu arbeiten“. Ah ja, sympathisch. Meine Horrorvorstellung bezüglich Leibesvisitation treffen jedoch nicht ein: ich werde, angezogen, nur gründlichst mit Metalldetektoren untersucht. Erst vorne, dann hinten, sogar der Spitzensaum meines Kleider wird abgetastet. Eine kurze indirekte Kopfmassage (die Waffensammlung in meinem feinen Haar wurde glücklicherweise übersehen), und kurze Fussmassage. Am Schluss fügt sie hinzu: „Ich hoffe, ich werde einmal so viel Geld haben, dass ich diesen Job nicht mehr machen muss“. Ich wünsche ihr viel Glück.
Am Ende des Marathons werde ich mit den Worten „Das war’s schon“ vom Sicherheitspersonal zu meinem Flughafenbus verabschiedet. Wie beim Doktor: hat ja gar nicht so weh getan. Alles in allem eine freundliche Behandlung durch das Sicherheitspersonal. Später im Flugzeug nach Hause denke ich an meine vorangegangene Nervosität während der gründlichen Vorbereitung und meine Ängste beim tatsächlichen Ablauf am Flughafen. Als Einschüchterung empfinde ich es, als eine Art psychologischen Terrors. Ich fühle mich unter Druck, meine Arbeit als Menschenrechtsbeobachterin zu verstecken. Diese ist zwar im rechtlichen Sinne völlig legal, hier scheint sie jedoch oft unerwünscht zu sein – in der ‚einzigen Demokratie des Nahen Ostens’…